„Unsere wichtigste Aufgabe als Kirche: Jesus Christus, den Quell der Liebe, zu verkünden“

12. März 2025 in Deutschland


Erzbischof Gössl predigt in DBK-Morgenmesse: In Christus „ist Gottes Wesen sichtbar geworden in dieser Welt. Das Kreuz des Erlösers zeigt uns die Liebe Gottes, die Liebe dessen, der sein Leben hingibt für seine Freunde“.


Steinfeld (kath.net/DBK) kath.net dokumentiert die Predigt von Erzbischof Herwig Gössl bei der Morgenmesse im Rahmen der DBK-Frühjahrs-Vollversammlung im Kloster Steinfeld in voller Länge:

Umkehr ist das große Thema der österlichen Bußzeit. Umkehr ist auch die Überschrift über den Schrifttexten des heutigen Tages. Wer möchte behaupten, dass dieses Thema nicht modern sei? Wer möchte sagen: Umkehr brauchen wir heute nicht! Ich wüsste eine ganze Menge Bereiche, in denen eine echte, radikale Umkehr äußerst angezeigt wäre – angesichts der allgemeinen Weltlage: Ich denke an den Klimaschutz, ein Thema, das momentan wieder völlig aus der öffentlichen Aufmerksamkeit verschwunden ist, nicht weil das Problem gelöst wäre, sondern weil es unbequem ist und von vielen als Luxusproblem abgetan wird.

Ich denke auch an die soziale Gerechtigkeit, die viele in ihren aktuellen Lebensumständen nicht erkennen können, was dann zu Protestverhalten, nicht nur bei Wahlen, führt. Ich denke an die Ächtung von kriegsverherrlichenden oder -verniedlichenden Bildern, Filmen, Spielen, was auch immer, was gerade junge Menschen ängstigt und ihnen die Hoffnung auf eine gute Zukunft raubt. Ja, überhaupt sehe ich die großen Chancen, aber auch die mindestens ebenso großen Gefahren der durchgehenden Digitalisierung aller Lebensbereiche, der sozialen Medienformate, durch die immer mehr Menschen manipuliert, ja geradezu ferngesteuert werden. Ich denke an die zunehmende Bewunderung völlig verantwortungslosen Verhaltens, das nur den eigenen Vorteil gelten lässt und die vielfältigen Verflechtungen, in denen wir Menschen leben, völlig verdrängt und leugnet. Ja, Umkehrpotenzial gäbe es vielfach. Und selbstverständlich betrifft das all das, was ich bisher aufgezählt habe, in der einen oder anderen Weise auch uns als Kirche, denn wir bestehen nun mal aus den Menschen, die in dieser Gesellschaft/Welt leben. Daher ist die Kirche – wie das Zweite Vatikanische Konzil sagt – „zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig“, also ständig aufgerufen zu Umkehr, Buße und Erneuerung.

Doch so klar und einsichtig das alles sein mag und so groß vielleicht auch die Bereitschaft zur Umkehr – wir alle wissen wohl aus eigener schmerzlicher, geistlicher Erfahrung: So einfach umzusetzen ist das alles nicht. So schön und gefällig sich die Episode aus der Jona-Geschichte liest, jedem, der sich auch nur ein wenig Realismus bewahrt hat, ist klar: Da stimmt etwas nicht. Dass sich auf das dahingesagte Drohwort des Propheten hin die ganze Stadt Ninive bekehrt, das ist allenfalls ein frommer Wunschtraum, eine Vision ohne Realitätsbezug. Eine Veränderung von Lebensgewohnheiten, gar von Verhaltensmustern, fällt sehr, sehr schwer, ja erscheint beinahe unmöglich. Ein Verzicht für die 40 Tage der Fastenzeit ist schon herausfordernd genug. Aber eine Umkehr, die mein Leben, mein Verhalten, meine Gewohnheiten betrifft – ganz aus freien Stücken, ohne äußeren Zwang –, das wäre eine Heldentat.

Und doch gibt es auch solche Erfahrungen. Eltern können so etwas manchmal erleben bei ihren erwachsen werdenden Kindern. Plötzlich kann es passieren, dass da eine vorher nie gekannte Ordnung und Gewissenhaftigkeit ins Leben des Sohnes, der Tochter kommt, und oft hat das dann damit zu tun, dass sich dieser junge Mensch verliebt hat. Die Liebe macht Dinge möglich, die vorher unmöglich schienen. Die Liebe kann Menschen verändern, kann eine Umkehr zustande bringen.

Die Liebe machtʼs möglich! Das gilt auch im Blick auf unser geistliches Leben. Wir können noch so viele vernünftige Forderungen aufstellen, solange das Ganze nicht von der Liebe umfangen und getragen ist, wird die Umsetzung schwerfallen. In seiner Enzyklika Dilexit nos hat Papst Franziskus, indem er das Zweite Vatikanische Konzil zitiert, Folgendes festgehalten: „Das Herz ernst zu nehmen, hat soziale Konsequenzen. Wie das Zweite Vatikanische Konzil lehrt, müssen wir alle ‚uns wandeln in unserer Gesinnung und müssen die ganze Welt und jene Aufgaben in den Blick bekommen, die wir alle zusammen zum Fortschritt der Menschheit auf uns nehmen können‘ (GS 82). Denn ‚in Wahrheit hängen die Störungen des Gleichgewichts, an denen die moderne Welt leidet, mit jener tiefer liegenden Störung des Gleichgewichts zusammen, die im Herzen des Menschen ihren Ursprung hat‘ (GS 10).“

Die Erfahrung, geliebt zu sein und lieben zu können, ist die innerste Triebfeder für Verwandlung, für Umkehr und Erneuerung. Daher ist es unsere wichtigste Aufgabe als Kirche, Jesus Christus, den Quell der Liebe, zu bezeugen und zu verkünden. Wir müssen alles daransetzen, dass möglichst viele Menschen eine persönliche Beziehung zu ihm aufbauen können. Er ist mehr als Jona, mehr als Salomo. In ihm ist Gottes Wesen sichtbar geworden in dieser Welt. Das Kreuz des Erlösers zeigt uns die Liebe Gottes, die Liebe dessen, der sein Leben hingibt für seine Freunde. Die Begegnung mit dieser Liebe macht alles möglich, auch eine ehrliche Umkehr von falschen Wegen, sogar eine Veränderung dieser Welt.

Die Beziehung zu Jesus Christus, die uns der Glaube schenkt, vermittelt Hoffnung, auch dort, wo viele alle Hoffnung fahren lassen. Als Pilger der Hoffnung und in der Kraft des Heiligen Geistes dürfen wir uns einer großen Aufgabe widmen: Wir dürfen uns daranmachen, das Angesicht dieser Erde zu erneuern.

Foto (c) DBK/Marko Orlovic


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