Von der Rolle

18. März 2025 in Kommentar


Im Erzbistum Freiburg wird die sakramental-hierarchische Ordnung der Kirche in 22 «Rollen» aufgelöst. So wird die Kirche schon bald nicht einmal mehr eine Rolle spielen. Gastkommentar von Martin Grichting


Chur (kath.net)

Es gab da einmal ein Konzil, das II. Vatikanische. Dieses hatte 1965 noch betont, das gemeinsame Priestertum der Gläubigen und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterschieden sich dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach (Lumen Gentium, Nr. 10). Zudem hatte dieses Konzil betont, Laien könnten «in verschiedener Weise zu unmittelbarerer Mitarbeit mit dem Apostolat der Hierarchie berufen werden». Außerdem hätten sie «die Befähigung dazu, von der Hierarchie zu gewissen kirchlichen Ämtern herangezogen zu werden, die geistlichen Zielen dienen» (ebd., Nr. 33). Entsprechend hiess es dann im Codex Iuris Canonici von 1983: «Der Pfarrer ist der eigene Hirte der ihm übertragenen Pfarrei; er nimmt die Seelsorge für die ihm anvertraute Gemeinschaft unter der Autorität des Diözesanbischofs wahr, zu dessen Teilhabe am Amt Christi er berufen ist, um für diese Gemeinschaft die Dienste des Lehrens, des Heiligens und des Leitens auszuüben, wobei auch andere Priester oder Diakone mitwirken sowie Laien nach Maßgabe des Rechts mithelfen» (can. 519). Und weiter: «Wenn der Diözesanbischof wegen Priestermangels glaubt, einen Diakon oder eine andere Person, die nicht die Priesterweihe empfangen hat, oder eine Gemeinschaft von Personen an der Wahrnehmung der Seelsorgsaufgaben einer Pfarrei beteiligen zu müssen, hat er einen Priester zu bestimmen, der, mit den Vollmachten und Befugnissen eines Pfarrers ausgestattet, die Seelsorge leitet» (can. 517 § 2).

Was göttlichen Rechts ist und vom Kirchenrecht entsprechend ausgefaltet wurde, soll im Zuge einer «Kirchenentwicklung 2030» im Erzbistum Freiburg im Breisgau nun in 22 «Rollen» verhackstückt werden. Die neue Kirchennomenklatura à la McKinsey & Company lautet in voller Länge: Ansprechperson; Anwältin/Anwalt; Ausbilderin/Ausbilder; Beauftragte/Beauftragter/Koordinatorin/Koordinator; (Geistliche) Begleiterin/(Geistlicher) Begleiter; Coach/Personalentwicklerin/Personalentwickler; Ehrenamtsbeauftragte/Ehrenamtsbeauftragter; Ermöglicherin/Ermöglicher; Fachkundige/Fachkundiger Theologie; Gastgeberin/Gastgeber; Konfliktmanagerin/Konfliktmanager; Leiterin/Leiter; Liturgin/Liturge/Ritualexpertin/Ritualexperte; Missionarin/Missionar; Moderatorin/Moderator; Netzwerkerin/Netzwerker; Pionierin im Team/Pionier im Team; Qualitätsmanagerin/Qualitätsmanager; Seelsorgerin/Seelsorger; Talentsucherin/Talentsucher/Kundschafterin/Kundschafter; Übersetzerin/Übersetzer; Visionärin/Visionär/Zukunftsentwicklerin/Zukunftsentwickler.

Wenn es zum Lachen wäre, könnte man diesen Wortsalat als Wimmelbild verstehen, das einen dazu einlädt, nach dem Weihesakrament zu suchen und dem Verlies, in dem der Pfarrer versteckt wurde. Aber es ist eben nicht lustig. Es ist die Beerdigung der hierarchisch-sakramentalen Ordnung der Kirche unter einem Gewirr von «Rollen». Der Pfarrer spielt vermutlich in Zukunft die «Rolle» des Leiters. Denn in jeder zukünftigen Megapfarrei soll es einen solchen geben. Er ist entweder ein «leitender Pfarrer» oder einfach nur ein «Pfarrer», was wohl bedeuten soll, dass er in diesem Fall nicht einmal mehr leitet. Denn zur – wörtlich – «Grundausstattung» jeder Megapfarrei wird ein/e «Leitender Referent/leitende Referentin» gehören. Der Titularpfarrer, der keiner Pfarrei mehr vorsteht, weil sie mit anderen Pfarreien fusioniert wurde, der Vikar, der Kaplan, der Kooperator und der Diakon: Sie bekommen dann unter dem hybriden priesterlich-laikalen Leitungs-Rollen-Team im personell heterogenen «Pastoralteam» ihre «Rolle(n)» zugewiesen. Auswahl ist ja genug.

Dass man sich beim «Rollenportfolio» mit seinen 22 «Rollen» sowie mit den «Leitenden Referenten» neben dem II. Vatikanum und dem Kirchenrecht auch über die interdikasterielle «Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester» von 1997 hinwegzusetzen gedenkt, kann da nicht weiter überraschen. Dort hiess es ja einst unter «Praktische Verfügungen» in Art. 1 § 3, dass man Laienmitarbeitern nicht Bezeichnungen wie ‘Koordinator’ oder ’Moderator’ geben dürfe. Die dazugehörige Fussnote 58 präzisierte dann, in diese Aufzählung von Beispielen müße man alle sprachlichen Ausdrücke einbeziehen, die eine Leitungs- oder Stellvertretungsrolle bezeichneten.

Wenn Lehramt und Kirchenrecht übergangen werden, ist es zwecklos, noch theologisch zu argumentieren. Denn wer sich die Mühe macht, sich durch Dutzende von Strategiepapieren, Tabellen, Memos und Videos der Freiburger «Kirchenentwicklung 2030» zu arbeiten, muss zum Schluss kommen, dass deren Macher in einem Paralleluniversum leben, das gegen die Lehre der Kirche abschottet ist.

Aber die Hoffnung stirbt zuletzt: Man könnte noch versuchen, die kirchlichen Erfolgsstrategen mit rein säkularen Argumenten zu erreichen, denn in der Diesseitigkeit bewegen sie sich ja. Eignen würde sich dafür der Begriff der «Rolle». Diese kommt bekanntlich im Kino und im Theater vor. Es gehört zum Wesen einer Rolle, dass sie zu unterscheiden ist von der Person, die sie spielt. Ein Schauspieler, der betreffend seine Gesundheit auf Homöopathie schwört, kann in einem Fernsehkrimi problemlos einen Professor der Apparate- und Schulmedizin mimen. Und eine bekennende Grüne könnte in einem Fantasyfilm völlig legitim die ab 2029 tätige Bundeskanzlerin Alice Weidel darstellen. Denn Person und Rolle haben nichts miteinander zu tun.

Aber in der Kirche spielen wir keine Rollen, die wir von der Person abtrennen. Wir sind Zeugen Jesu Christi. Glaubwürdigkeit nannte man das früher. Hat Edith Stein eine Rolle gespielt? Hat P. Maximilian Kolbe eine Rolle gespielt? Nein, sie haben gelebt, was sie waren, und haben ihr Leben für Jesus Christus dahingegeben. Ihr Leben war aus einem Guss. Dieses «Aus einem Guss» ist das Kennzeichen der Heiligkeit. Darum geht es in der Kirche. Und es verwundert keineswegs, dass bei den Freiburger Rollenspielen der Kern nicht mehr zur Sprache kommt. (Auch zur «Allgemeinen Berufung zur Heiligkeit» hatte sich das verblichene II. Vatikanische Konzil geäussert, in Lumen Gentium, Kapitel V.).

In der Gesellschaft und im Staat werden heute überall Rollen gespielt. Wie weit das dort legitim ist, sei dahingestellt. Schon beim Arzt, Polizisten und Politiker berührt es jedoch merkwürdig, wenn es eine völlige Dissoziation zwischen dem Menschen und der Rolle gibt. Wie auch immer: Dieses Rollendenken wird von der säkularisierten Gesellschaft heute an die Bischöfe, Priester und Diakone herangetragen. Es erschwert ihnen ihr verkündendes und heiligendes Wirken, weil sie dadurch auf ihre menschlichen Qualitäten reduziert werden, auf die es aus der Sicht des Glaubens zuletzt gerade nicht ankommt. Wenn nun aber die Kirche ihr Personal gegenüber der säkularisierten Welt von sich aus in «Rollen» auftreten lässt, gibt sie zu erkennen, dass sie in den gleichen säkularen Kategorien denkt. Es ist der sichere Weg dahin, schon bald nicht einmal mehr eine Rolle zu spielen.


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