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Apostolische Reise nach Ajaccio: die gesunde Säkularität. ‚Konstruktive Bürgerschaft‘ der Christen

15. Dezember 2024 in Aktuelles, 1 Lesermeinung
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Franziskus: In der Volksfrömmigkeit kann man die Weise erfassen, in der der empfangene Glaube in einer Kultur Gestalt angenommen hat und ständig weitergegeben wird


Ajaccio (kath.net) Apostolische Reise von Papst Franziskus nach Ajaccio anlässlich des Abschlusses des Kongresses „La religiosité populaire en Méditerranée“.

Bei seiner Ankunft wurde der Papst am Seiteneingang des Palastes vom Bischof von Ajaccio, Seiner Eminenz Kard. François-Xavier Bustillo, O.F.M. Conv., dem Innenminister, dem Präfekten von Korsika, dem Präsidenten des Regionalrats, dem Präsidenten des Exekutivrats, dem Präsidenten der Handelskammer und dem Kommunikationsdirektor der Handelskammer empfangen. Anschließend betrat Franziskus das Auditorium Pascal Paoli, in dem etwa 400 Personen anwesend waren. Nach der Begrüßung durch den Kardinalbischof von Ajaccio hielt Papst Franziskus seine Ansprache.

Am Ende verließ er das Auditorium. Der Papst fuhr dann zur Statue der Madunnuccia, der Schutzpatronin von Ajaccio.

Vor der Statue, dem Symbol der Insel Korsika, hielt Papst Franziskus kurz inne. Dann brachten ihm zwei Kinder eine Kerze, die Papst Franziskus anzündete und die der Bischof von Ajaccio vor die Statue stellte. Anschließend fuhr Franziskus zum Angelusgebet in die Kathedrale Santa Maria Assunta.

***

„Nichtgläubigen oder Menschen, die sich von der religiösen Praxis distanziert haben, ist die Suche nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Solidarität nicht fremd, und oft haben sie, auch wenn sie keiner Religion angehören, in ihrem Herzen ein größeres Verlangen, eine Sehnsucht nach Sinn, die sie dazu führt, nach dem Geheimnis des Lebens zu fragen und nach grundlegenden Werten für das Gemeinwohl zu suchen.“

„Wie Benedikt XVI. erklärt hat, bedeutet eine gesunde Säkularität „den Glauben von der Last der Politik zu befreien und die Politik durch die Beiträge des Glaubens zu bereichern. Dabei sind der nötige Abstand, die klare Unterscheidung und die unentbehrliche Zusammenarbeit zwischen beiden zu wahren. [...] Eine solche gesunde Laizität garantiert der Politik zu handeln, ohne die Religion für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, und der Religion, frei zu leben, ohne sich mit der politischen Wirklichkeit zu belasten, die von Interessen geleitet ist und sich manchmal mit dem Glauben nur schwer oder sogar überhaupt nicht vereinbaren lässt. Das ist der Grund, warum die gesunde Laizität (Einheit in der Unterscheidung) für beide Teile nötig und sogar unverzichtbar ist.“ (Apostolisches Schreiben Ecclesia in Medio Oriente, 29).“

„Die Volksfrömmigkeit, die hier auf Korsika sehr tief verwurzelt ist, lässt die Werte des Glaubens hervortreten und bringt zugleich die Gestalt, die Geschichte und die Kultur der Völker zum Ausdruck. In dieser Verflochtenheit – ohne Vermischung – nimmt der beständige Dialog zwischen dem religiösen und dem säkularen Bereich, zwischen der Kirche und den zivilen und politischen Institutionen, Gestalt an. In dieser Frage seid ihr schon lange unterwegs und ihr seid ein virtuoses Beispiel in Europa. Macht weiter so! Und ich möchte die jungen Menschen ermutigen, sich noch aktiver in das soziokulturelle und politische Leben einzubringen, mit dem Elan der besten Ideale und mit Leidenschaft für das Gemeinwohl. Ebenso rufe ich die Seelsorger und die Gläubigen, die Politiker und diejenigen, die öffentliche Verantwortung tragen, auf, den Menschen immer nahe zu sein, indem sie auf ihre Bedürfnisse hören, ihre Leiden begreifen und ihre Hoffnungen recht verstehen, denn alle Autorität wächst nur in Beziehung.“

Ansprache von Papst Franuziskus an die Teilnehmer des Kongresses über die Volksfrömmigkeit im Mittelmeerraum, Palais des Congrès

Herr Kardinal, liebe Mitbrüder im Bischofsamt, liebe Priester und Ordensleute, liebe Brüder und Schwestern in Christus!


Ich freue mich, euch hier in Ajaccio zum Abschluss des Kongresses über Volksfrömmigkeit im Mittelmeerraum zu begegnen, an dem zahlreiche Wissenschaftler und Bischöfe aus Frankreich und anderen Ländern teilgenommen haben.

Die Gebiete, die am Mittelmeer liegen, sind in die Geschichte eingegangen und sie sind die Wiege zahlreicher Zivilisationen gewesen, die einen beachtlichen Entwicklungsgrad erreicht haben. Denken wir insbesondere an die griechisch-römische und die jüdisch-christliche Zivilisation, die von der kulturellen, religiösen und historischen Bedeutung dieses großen „Sees“ in der Mitte dreier Kontinente zeugen, dieses einzigartigen Meeres, das das Mittelmeer ist.

Wir dürfen nicht vergessen, dass das Mittelmeer in der klassischen Literatur, der griechischen wie der lateinischen, vielfach der ideale Schauplatz für die Entstehung von Mythen, Erzählungen und Legenden war. Ebenso wie die Tatsache, dass das philosophische Denken und die Künste, zusammen mit den Techniken der Seefahrt, die Zivilisationen des Mare nostrum in die Lage versetzten, eine hochstehende Kultur zu entwickeln, Kommunikationswege zu erschließen, Infrastrukturen und Aquädukte und mehr noch, Rechtssysteme und Institutionen von beachtlicher Komplexität aufzubauen, deren Grundprinzipien auch heute noch gültig und aktuell sind.

Zwischen dem Mittelmeerraum und dem Nahen Osten hat eine ganz besondere religiöse Erfahrung ihren Ursprung, die mit dem Gott Israels verbunden ist, der sich den Menschen offenbart und einen unaufhörlichen Dialog mit seinem Volk begonnen hat, der seinen Höhepunkt in der einzigartigen Gegenwart Jesu, des Sohnes Gottes, findet, der das Antlitz des Vaters, seines und unseres Vaters, in endgültiger Weise offenbart hat und der den Bund zwischen Gott und der Menschheit zur Vollendung geführt hat.

Seit der Menschwerdung des Gottessohnes sind mehr als zweitausend Jahre vergangen und viele verschiedene Epochen und Kulturen sind seitdem aufeinander gefolgt. Während einiger Momente der Geschichte hat der christliche Glaube das Leben der Völker und deren politische Institutionen geprägt, während heute, besonders in den europäischen Ländern, die Frage nach Gott zu verklingen scheint und man seiner Gegenwart und seinem Wort immer gleichgültiger gegenübersteht. Bei der Analyse dieser Lage müssen wir jedoch vorsichtig sein, um nicht voreiligen Betrachtungen und ideologischen Urteilen zu verfallen, die manchmal heute noch die christliche Kultur und die säkulare Kultur einander entgegensetzen.

Es ist im Gegenteil wichtig, eine gegenseitige Offenheit zwischen diesen beiden Horizonten zu erkennen: die Gläubigen öffnen sich zunehmend gelassen für die Möglichkeit, ihren Glauben zu leben, ohne ihn anderen aufzudrängen, wie ein Sauerteig im Teig der Welt und des Umfeldes, in dem sie leben. Nichtgläubigen oder Menschen, die sich von der religiösen Praxis distanziert haben, ist die Suche nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Solidarität nicht fremd, und oft haben sie, auch wenn sie keiner Religion angehören, in ihrem Herzen ein größeres Verlangen, eine Sehnsucht nach Sinn, die sie dazu führt, nach dem Geheimnis des Lebens zu fragen und nach grundlegenden Werten für das Gemeinwohl zu suchen.

Innerhalb dieses Rahmens können wir die Schönheit und Bedeutung der Volksfrömmigkeit begreifen (vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii Nuntiandi, 48). Einerseits erinnert sie uns an die Inkarnation als Grundlage des christlichen Glaubens, der immer in der Kultur, der Geschichte und den Sprachen eines Volkes zum Ausdruck kommt und durch die Symbole, Bräuche, Riten und Traditionen einer lebendigen Gemeinschaft weitergegeben wird. Andererseits zieht die Praxis der Volksfrömmigkeit auch Menschen an und bezieht sie mit ein, die an der Schwelle zum Glauben stehen, die ihn nicht eifrig praktizieren und in ihm dennoch die eigenen Wurzeln und Neigungen sowie Ideale und Werte erleben, die sie für ihr eigenes Leben und für die Gesellschaft für nützlich halten.

Indem sie den Glauben mit einfachen Gesten und symbolischen Sprachformen zum Ausdruck bringt, die in der Kultur des Volkes verwurzelt sind, offenbart die Volksfrömmigkeit die Gegenwart Gottes im lebendigen Fleisch der Geschichte. Sie stärkt die Beziehung zur Kirche und wird oft zu einem Anlass zur Begegnung, zum kulturellen Austausch und zum Feiern. (…)In diesem Sinne verleihen ihre Praktiken der Beziehung zum Herrn und den Inhalten des Glaubens Gestalt und ermöglichen, dass dieser im Leben und in der Geschichte wirklich Fleisch annimmt.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang gerne an eine Überlegung von Blaise Pascal, der in einem Dialog mit einem fiktiven Gesprächspartner – um diesem verstehen zu helfen, wie man zum Glauben kommt – sagt, dass es nicht genügt, die Beweise für die Existenz Gottes zu vervielfachen oder intellektuelle Anstrengungen zu unternehmen; vielmehr müssen wir auf diejenigen blicken, die auf dem Weg schon weiter vorangeschritten sind, weil sie mit kleinen Schritten angefangen haben, „indem sie Weihwasser nahmen und Messen lesen ließen“ (Pensieri, in Opere complete, Mailand 2020, Nr. 681). (…)

Dies ist also etwas, das wir nicht vergessen dürfen: „In der Volksfrömmigkeit kann man die Weise erfassen, in der der empfangene Glaube in einer Kultur Gestalt angenommen hat und ständig weitergegeben wird“, und daher „ist in ihr eine aktiv evangelisierende Kraft eingeschlossen, die wir nicht unterschätzen dürfen; anderenfalls würden wir die Wirkung des Heiligen Geistes verkennen“ (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 123; 126). (…)

Natürlich muss man diesbezüglich mittels sorgsamer theologischer und pastoraler Unterscheidung stets wachsam bleiben. Es besteht nämlich die Gefahr, dass sich die Erscheinungsformen der Volksfrömmigkeit auf äußerliche oder folkloristische Aspekte beschränken, ohne zu einer Begegnung mit Christus zu führen, oder dass sie von »Schicksalsgläubigkeit oder Aberglaube« und deren Aspekten kontaminiert werden (ebd., 69). Oder – ein anderes Risiko – dass die Volksfrömmigkeit von Gruppierungen genutzt und instrumentalisiert wird, die ihre eigene Identität auf polemische Weise stärken wollen, indem sie Partikularismen, Entgegensetzung und ausgrenzende Haltungen fördern. All dies entspricht nicht dem christlichen Geist der Volksfrömmigkeit und verlangt von allen, insbesondere aber von den Seelsorgern, Wachsamkeit, Unterscheidung und die Förderung einer kontinuierlichen Aufmerksamkeit für die volkstümlichen Formen des religiösen Lebens.

Wenn es der Volksfrömmigkeit gelingt, den christlichen Glauben und die kulturellen Werte eines Volkes zu vermitteln, indem sie die Herzen vereint und zu einer Gemeinschaft zusammenschließt, dann geht daraus eine wichtige Frucht hervor, die auf die Gesellschaft als Ganzes und auch auf die Beziehungen zwischen den zivilen und politischen Institutionen und der Kirche zurückwirkt. Der Glaube bleibt keine private Angelegenheit, (…) die sich im Heiligtum des Gewissens erschöpft, sondern er geht – wenn er sich selbst ganz treu sein will – mit einem Engagement und einem öffentlichen Zeugnis einher: für menschliches Wachstum, sozialen Fortschritt und Sorge für die Schöpfung, im Zeichen der Liebe. Gerade deshalb sind aus dem christlichen Glaubensbekenntnis und dem durch das Evangelium und die Sakramente belebten Glaubensleben im Laufe der Jahrhunderte zahllose Hilfswerke und Einrichtungen entstanden, wie Krankenhäuser, Schulen, Pflegezentren – in Frankreich sind es viele! –, in denen sich die Gläubigen für die Bedürftigen eingesetzt und zum Wachstum des Gemeinwohls beigetragen haben. Volksfrömmigkeit, Prozessionen und Bittgänge, karitative Aktivitäten von Bruderschaften, das gemeinsame Gebet des Rosenkranzes und andere Frömmigkeitsformen können diese „konstruktive Bürgerschaft“ der Christen nähren. (…)

Zugleich können die Gläubigen auf dem gemeinsamen Boden eben dieser Entschlossenheit, das Gute zu tun, auf einem gemeinsamen Weg auch mit den säkularen Institutionen – zivilen und politischen – zusammenfinden, um sich gemeinsam im Dienste aller, angefangen bei den Letzten, für ein ganzheitliches menschliches Wachstum einzusetzen und für die Bewahrung dieser „Île de beauté”.

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, ein Konzept von Säkularität zu entwickeln, das nicht statisch und steif ist, sondern entwicklungsfähig und dynamisch, das in der Lage ist, sich an unterschiedliche oder unvorhergesehene Situationen anzupassen und eine beständige Zusammenarbeit zwischen zivilen und kirchlichen Instanzen zum Wohle aller zu fördern, wobei ein jeder im Rahmen der eigenen Zuständigkeiten und des eigenen Bereichs bleibt.

Wie Benedikt XVI. erklärt hat, bedeutet eine gesunde Säkularität „den Glauben von der Last der Politik zu befreien und die Politik durch die Beiträge des Glaubens zu bereichern. Dabei sind der nötige Abstand, die klare Unterscheidung und die unentbehrliche Zusammenarbeit zwischen beiden zu wahren. [...] Eine solche gesunde Laizität garantiert der Politik zu handeln, ohne die Religion für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, und der Religion, frei zu leben, ohne sich mit der politischen Wirklichkeit zu belasten, die von Interessen geleitet ist und sich manchmal mit dem Glauben nur schwer oder sogar überhaupt nicht vereinbaren lässt. Das ist der Grund, warum die gesunde Laizität (Einheit in der Unterscheidung) für beide Teile nötig und sogar unverzichtbar ist.“ (Apostolisches Schreiben Ecclesia in Medio Oriente, 29).

Auf diese Weise können mehr Kräfte und mehr Synergien freigesetzt werden, ohne Vorurteile und ohne grundsätzliche Widerstände, in einem offenen, ehrlichen und fruchtbaren Dialog.

Liebe Freunde, die Volksfrömmigkeit, die hier auf Korsika sehr tief verwurzelt ist, lässt die Werte des Glaubens hervortreten und bringt zugleich die Gestalt, die Geschichte und die Kultur der Völker zum Ausdruck. In dieser Verflochtenheit – ohne Vermischung – nimmt der beständige Dialog zwischen dem religiösen und dem säkularen Bereich, zwischen der Kirche und den zivilen und politischen Institutionen, Gestalt an. In dieser Frage seid ihr schon lange unterwegs und ihr seid ein virtuoses Beispiel in Europa. Macht weiter so!

Und ich möchte die jungen Menschen ermutigen, sich noch aktiver in das soziokulturelle und politische Leben einzubringen, mit dem Elan der besten Ideale und mit Leidenschaft für das Gemeinwohl. Ebenso rufe ich die Seelsorger und die Gläubigen, die Politiker und diejenigen, die öffentliche Verantwortung tragen, auf, den Menschen immer nahe zu sein, indem sie auf ihre Bedürfnisse hören, ihre Leiden begreifen und ihre Hoffnungen recht verstehen, denn alle Autorität wächst nur in Beziehung. (…)

Ich hoffe, dass dieser Kongress über die Volksfrömmigkeit euch hilft, die Wurzeln eures Glaubens neu zu entdecken und dass er euch zu neuem Engagement in der Kirche und der Zivilgesellschaft anspornt, das dem Evangelium und dem Gemeinwohl aller Bürger dient.

Möge Maria, die Mutter der Kirche, euch auf eurem Weg begleiten und beistehen.


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Lesermeinungen

 Stefan Fleischer 16. Dezember 2024 

Ja, Hören. Ein Gedanke von heute Nacht

Aber wie, aber wem? Paulus erklärt uns: «Prüfet alles, behaltet das Gute.» Und Petrus fragte: «Zum wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.» Ein gutes Kriterium! Auch in unserem Hören sollte Gott im Zentrum stehen, damit wir unterscheiden lernen zwischen dem, was und Gott will, und dem was die Menschen wollen, damit nicht auch von uns gilt: «Hören sollt ihr, hören, aber nicht verstehen. / Sehen sollt ihr, sehen, aber nicht erkennen. (Jes 6,9). Es gib zwei Wege, die Theologie und die Volksfrömmigkeit. Beide sind nützlich, sollten sich ergänzen. Aber beide laufen auf Gefahr, einseitig zu werden, sich selbst zu überschätzen. Unser Glaube nennt sich katholisch, allumfassend. Zum richtigen Hören braucht es Demut. Ist es vielleicht das, was uns, was auch dem synodalen Weg von heute fehlt?


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